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Delivery Hero wird von vielen konservativen Anlegern in Deutschland eher argwöhnisch betrachtet. Denn das Berliner Unternehmen ist für ein DAX-Mitglied relativ untypisch: Zum einen ist es der New Economy, also einem mit der Digitalisierung entstandenen Wirtschaftsbereich, zugehörig. Und zum anderen konnte man bisher in keinem Geschäftsjahr seit der Gründung 2011 schwarze Zahlen vorweisen. Seit der Insolvenz von Wirecard am 25. Juni 2020 sollen für die Mitgliedschaft im DAX strengere regulatorische Hürden gelten; oft wird in diesem Zuge auch das ehemalige Berliner Start-up als eine Art Negativbeispiel angeführt. Im folgenden Artikel wollen wir einen Blick auf die Entwicklung des Essenslieferanten seit dem Börsengang werfen. Zunächst einmal wollen wir aber kurz auf die Anfangsjahre vor dem IPO blicken.

Vom Start-up zum Börsenparkett

Mithilfe des deutschen Inkubators Team Europe gründeten der Schwede Niklas Österberg und seine Mitstreiter Kolja Hebenstreit, Markus Fuhrmann und Lukasz Gadowski im Mai 2011 das Start-up Delivery Hero, damals noch unter dem Namen RPG International Holding GmbH firmierend. Das hoch gesteckte Ziel lautete, ein global agierendes Netzwerk an Essenslieferdiensten aufzubauen. Bereits einige Monate zuvor, im November 2010, wurde Lieferheld gegründet, ebenfalls unter Beteiligung von Österberg und Team Europe. Der Schwede war in seiner Heimat als Unternehmensberater tätig. Aufgrund mangelnder Kochkünste bestellte es des Öfteren seine Speisen online. Dabei kam ihm die Idee, den Bestellablauf simpler zu gestalten, und so gründete er bereits 2008 einen eigenen Lieferdienst. Im Februar 2012 wird Lieferheld durch die RPG International einverleibt und somit zur ersten von vielen weiteren Übernahmen. Kuriose Randnotiz: Im April 2012 wird Lieferheld bezichtigt, für die zeitweise aufgetretene Überlastung der Internetseite seines damaligen Konkurrenten Lieferando gesorgt zu haben. Das anschließende Ermittlungsverfahren wurde jedoch schnell wieder eingestellt, offensichtlich hatte Lieferando die Vorwürfe gezielt gestreut, um seinen Mittbewerber zu diskreditieren. Nach weiteren Übernahmen, unter anderem im skandinavischen Raum und in Russland, ist man im August 2014 bereits in 23 Ländern aktiv. Und nun schluckte man auch noch mit pizza.de einen führenden Konkurrenten aus Deutschland. Bereits 650 Millionen Euro an Investorengeldern konnten zu diesem Zeitpunkt eingenommen werden.

Ein weiterer Meilenstein war 2015 der Einstieg des Venture Capital Unternehmens Rocket Internet aus Berlin, die für fast 500 Millionen Euro 30 % der Anteile übernahmen. Diese waren übrigens maßgeblich am Aufstieg von Hellofresh, einem weiteren sehr erfolgreichen deutschen Start-up im Food-Bereich, beteiligt. Doch das sehr aggressive Vorantreiben weiterer Akquisitionen kostete enorm viel Geld. Mitte 2016 kamen daher Gerüchte auf, dass die Berliner Lieferdienstholding in Geldnot stecken würde und Kredite zu horrenden Zinsen aufnehmen müsse. Von Unternehmensseite wurde dies jedoch zurückgewiesen. Im Kerngeschäft (also im operativen Business ohne Betrachtung von Investitionen in die Zukunft) würden schwarze Zahlen geschrieben werden. Zu diesem Zeitpunkt gehörte der Lieferheld-Konkurrent Lieferando übrigens bereits zu Takeaway.com, einem der heutigen Hauptkonkurrenten von Delivery Hero aus den Niederlanden. Im Juni 2017 erfolgte schließlich der IPO an der Börse Frankfurt. Zuvor konnte mit 121 Millionen Euro an Quartalsumsätzen ein Rekordsprung von fast 100 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum vermeldet werden. Dementsprechend erfolgreich gestaltete sich das Börsendebut. Der Endkurs lag am ersten Handelstag mit 26,90 Euro über dem Ausgabepreis von 25,50 Euro. Dies entsprach einem Börsenwert von 4,4 Milliarden Euro. Mittlerweile war man in 42 Ländern quer über dem Globus aktiv und beschäftigte ca. 6000 Mitarbeiter.

Die Entwicklung seit dem Börsengang

Die umsatztechnisch sehr positive Entwicklung hielt dank der weiteren Expansion auch die restlichen Quartale des Jahres 2017 an. Aufs Gesamtjahr gesehen betrug der Umsatzzuwachs beachtliche 83 %. Schließlich stieg Delivery Hero Mitte 2018 vom SDAX in den nächstgrößeren Index MDAX auf. Eine folgenschwere Entscheidung wurde Ende desselben Jahres getroffen: Das prestigeträchtige Heimatgeschäft, also die deutschen Franchises Lieferheld, Pizza.de und Foodora, wurden für die Summe von 930 Millionen Euro an den großen Rivalen Takeaway.com verkauft. Die Summe teilte sich in 508 Millionen an Barmitteln und 422 Millionen Euro an Aktien auf. Somit hielt man 18 % an Takeaway. Mittlerweile ist Takeway.com mit dem britischen Konkurrenten Just Eat verschmolzen, an dem neu geschaffenen Unternehmen Just Eat Takeaway hält man aktuell noch 10 %. Die durch die Veräußerungen eingenommenen Barmittel wurden zur Expansion nach Lateinamerika, Korea und in den Mittleren Osten genutzt. In genau diesen drei Regionen sowie in Osteuropa ist man heutzutage übrigens Marktführer.

Entgegen der landläufigen Meinung, dass die Berliner Essenslieferholding ein Profiteur der Corona-Krise 2020 gewesen sei, muss die Lage des vergangenen Jahres differenzierter betrachtet werden. Zwar konnte, im Vergleich zu 2019, ein Umsatzanstieg von fast 100% auf 2,50 Milliarden Euro verbucht werden. Allerdings wurden auch die Verluste von minus 700 Millionen Euro auf fast minus 1,4 Milliarden Euro ausgeweitet. Die Margen wurden durch zusätzliche Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter in Mitleidenschaft gezogen, außerdem lag das Bestellaufkommen im besonders durch weltweite Lockdowns betroffenen 2. Quartal deutlich unter dem des Vorjahres.

Finanzlage sorgt für Kritik

Genau diese stetige Verschlechterung der Profitabilität ist, wie bereits in der Einleitung erwähnt, einer der Hauptkritikpunkte an Delivery Hero. Vielen alteingesessenen Anlegern stößt sauer auf, dass ausgerechnet ein Unternehmen mit negativer EBITDA-Marge den Platz des Skandalunternehmens Wirecard im DAX eingenommen hat. Auch wenn der Aufstieg der Berliner in die höchste deutsche Börsenliga der schnellste in der deutschen Geschichte war (gerade einmal neun Jahre sind seit der Gründung 2011 bis zur DAX-Mitgliedschaft 2020 vergangen), so überwiegt bei vielen Börsianern die Skepsis. Als Konsequenz dessen sowie der Wirecard-Pleite wurden durch die Deutsche Börse und den Indexanbieter STOXX umfangreiche Zulassungsbeschränkungen für den DAX beschlossen. Neben einem positiven EBITDA in den letzten zwei Finanzveröffentlichungen werden auch vierteljährlich herauszugebende Quartalsergebnisse zur Pflicht. Auch wenn die Berliner Lieferdienstholding auf absehbare Zeit kein positives EBITDA aufweisen können wird, so muss sie dennoch nicht mit dem DAX-Ausschluss rechnen. Die neuen Regelungen sollen ausschließlich für zukünftige Neulinge gelten. Dennoch kann dies als deutlicher Fingerzeig der Aufsichtsbehörden gewertet werden. Trotz aller Kritik können sich Anleger, die seit dem Börsengang dabei waren, über eine sehr gute Performance ihrer Anteilsscheine von über 300 % freuen. Allerdings wurden in der Vergangenheit bereits des Öfteren neue Aktien emittiert, um weitere Expansionen zu finanzieren. Auch in der Zukunft ist wohl mit einer weiteren Verwässerung zu rechnen. Für 2021 rechnen die Analysten mit weiter stark steigenden Umsätzen. Erwartet werden Erlöse von 5,7 Milliarden Euro.

Die Zukunft: Zum Wachstum verdammt

Die Branche der Essenslieferdienste gilt als extrem hart umkämpft. Aus Kundensicht sind die Unterschiede zwischen den Konkurrenten Delivery Hero, Just Eat Takeaway oder auch Uber Eats marginal. Der Bestellprozess über eine App, in der zwischen verschiedenen Restaurants gewählt und die einzelnen Speisekarten interaktiv durchforstet werden können, ist überall relativ ähnlich. Ein bestimmter Prozentsatz vom Bestellwert verbleibt anschließend beim Anbieter der Lieferapp. Daneben haben Restaurantbesitzer bei einigen der genannten Unternehmen die Möglichkeit, die Auslieferung gegen Abgabe einer höheren Marge auszulagern. Alles in allem gilt jedoch das Prinzip, das ausschließlich der Marktführer in einem bestimmten Land langfristig profitabel arbeiten kann. Daher führen ausschließlich aggressive Expansionen und die Verdrängung anderer Marktteilnehmer zu langfristigem Erfolg und Profitabilität. Just Eat Takeaway kommt in den Niederlanden, wo sie die klare Nr.1 sind, auf eine operative Marge von extrem starken 49 %. Dies zeigt auf, wie profitabel der Essensliefermarkt für einen beherrschenden Player zukünftig einmal werden kann. Daher überraschte die kürzlich verlautbarte Ankündigung von CEO Österberg, dass eine Rückkehr nach Deutschland geplant sei. Warum also die Kehrtwende? Laut Österberg sei man sich sicher, nunmehr mit neuen Services bei den Kunden punkten zu können. Mit diesen neuen Services sind die zwei Trendthemen Ghost Kitchens und Dark Stores gemeint. Doch was verbirgt sich hinter diesen Begriffen?

Ghost Kitchens und Dark Stores als zukünftiger Wachstumstreiber?

Ghost Kitchens sind Restaurants, die nicht auf klassische Art und Weise die Kundschaft im eigenen Lokal vor Ort bedienen, sondern ausschließlich Speisen zur Abholung zubereiten. Vorteil: Es kann ein Großteil der Personalkosten, vor allem in der Bedienung, gespart werden. Zudem sind die Mietkosten für Ghost Kitchens wesentlich niedriger als bei normalen Restaurants, da die Örtlichkeiten kleiner sein können und eine gute Lage kein Muss mehr ist. Dark Stores funktionieren nach demselben Prinzip. Hierbei handelt es sich um Supermärkte (oder vielmehr Lagerräume), die einzig dafür geschaffen werden, Lebensmittel für die Auslieferung aufzubewahren. Das vom chinesischen Internetgiganten Tencent unterstütze Start-up Gorillas arbeitet bereits nach genau diesem Prinzip in einigen deutschen Großstädten. Auch das „russische Google“ Yandex praktiziert Lebensmittellieferungen über Dark Stores schon sehr erfolgreich. Das Marktpotenzial aller drei Geschäftsfelder, also von traditionellen Essenslieferungen, Lieferungen über Ghost Kitchens und vom Lebensmittelhandel über Dark Stores, ist gigantisch. Traditionelle Supermärkte und eventuell auch viele Restaurants könnten so auf lange Sicht disruptiv verdrängt werden. Zur Orientierung: Alleine der Umsatz von deutschen Supermärkten lag 2020 bei über 1,3 Milliarden Euro. Somit ist weiteres Wachstumspotenzial definitiv vorhanden. Wahrscheinlich werden langfristig weltweit wenige große Unternehmen den Gesamtmarkt unter sich aufteilen. Ob Delivery Hero dazugehören wird, wird die Zeit zeigen.